Langsam, schleimig und in der nackten Version wohl auch ein
bisschen eklig: Schnecken dürften auf den Hitlisten der
Lieblingstiere nicht auf einem der vorderen Plätze landen.
Das Verhältnis zu ihnen ist ambivalent: Im Garten sind sie
als Salatfresser gefürchtet. Als angebliche Delikatesse
landen sie manchmal selbst im Kochtopf. Als Wohnaccessoire zieren
sie Regale und Sideboards: Trägt diese Schnecke doch in
der Regel ein hübsches Haus mit sich herum und ist somit
ein "Hingucker". Aber so richtig ausgeprägt ist
das Interesse an diesem Tier bei den meisten Menschen nicht.
Doch Biologen wissen es besser. Schnecken sind die artenreichste
Tierklasse aus dem Stamm der Weichtiere. Mehr als 90.000 Arten
sind bekannt. Schnecken leben an Land und im Wasser. Ihre Systematik
ist nicht eindeutig geklärt. Sozusagen behelfsmäßig
unter-scheidet die Forschung zwischen drei Hauptgruppen, denen
diverse Untergruppen zugeordnet sind: Vorderkiemerschnecken,
Lungenschnecken und Hinterkiemerschnecken. Letzteren gilt Heike
Wägeles ganze wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Sie arbeitet
am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig. Weltweit beschäftigen
sich nur rund 100 Wissenschaftler unter dem Aspekt der Evolutionsforschung
mit den etwa 6.000 Arten der Hinterkiemerschnecken, erzählt
Wägele. Forschungsstationen sind auf der ganzen Welt angesiedelt.
Schließlich sind diese Schnecken von der Antarktis bis
in die Tropen in allen Weltmeeren verbreitet. Man findet sie
bis in 4 000 Meter Tiefe.
Was aber macht diese Tiere so faszinierend? Nicht nur ihre extravaganten
Farben - orange, violett, türkis oder grün - und ihre
teils bizarr korrallenartigen Formen. Es sind vielmehr einzigartige
biologische Phänomene, die sich bei diesen Tieren beobachten
lassen: "Ursprünglich hatten die Hinterkiemerschnecken
ein Gehäuse", erklärt Wägele. "Dann
gab es den Trend, das Gehäuse zu verkleinern. Wahrscheinlich,
weil die Schnecken damit zu unbeweglich waren."
Da die schützende Schale fehlte, mussten die Schnecken neue
Wege finden, sich vor Fressfeinden zu schützen.
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Eine der Überlebensstrategien ist, sich in der
Farbe der Umgebung anzupassen. Weitaus bemerkenswerter ist da
schon die Technik, Giftstoffe über die Nahrung aufzunehmen,
im eigenen Körper einzulagern und schließlich sogar
selbst zu produzieren. "Es konnte nachgewiesen werden, dass
es zu biochemischen Veränderungen kommt", sagt Wägele.
Das macht die Tiere selbst hochgradig giftig und für ihre
Fressfeinde letztlich ungenießbar, denn eine Schnecken-Mahlzeit
kann tödlich sein.
Es gibt aber noch andere raffinierte Methoden: "Wenn Schnecken
zum Beispiel Korallen und deren Verwandten anfressen, nehmen
sie deren giftige Nesselkapseln mit in ihren Organismus auf.
Die Kapseln mit Nesselfaden und Gift bleiben im Körper aktiv
und können nun gegen Feinde eingesetzt werden", erklärt
die Biologin. Andere Schnecken sind wiederum dazu in der Lage,
Chloroplasten aus Algen einzulagern und mit ihnen Photosynthese
zu betreiben. Von einer ist nun bekannt, dass sie sogar Gene
aus den Algen übernommen hat und nun selber vermutlich die
Chloroplasten herstellen kann.
Aufgrund ihrer Fähigkeiten sind Hinterkiemerschnecken für
die Pharmaindustrie interessant. Für die Alzheimer-Forschung
sind der Seehase Aplysia und die Fadenschnecke Hermissenda von
Bedeutung. An ihnen untersucht man das Lernverhalten und wie
sich das Gelernte neuronal manifestiert. Das ist möglich,
weil die Schnecken so große Nervenzellen und riesige Nerven
haben. Diese Aspekte stehen bei Wägele und ihren Kollegen
nicht im Vordergrund: "Es geht uns um reine Grundlagenforschung",
erklärt die Biologin. Um besser zu verstehen, warum und
wie es zu der Artenvielfalt auf unserem Planeten gekommen ist,
bieten sich die Hinterkiemerschnecken als Studienobjekt an.
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